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Freitag, 15. Februar 2013

Kapitel 5: Tante Hannah's Geschichte

Wir saßen uns auf meiner Couch gegenüber, ein Glas Rotwein in der Hand und Hannah erzählte mir die Geschichte ihrer ersten Liebe zu einer Frau.
Hannah schaute nachdenklich auf ihr Glas. "Tja, wo soll ich anfangen? Es ist so viel Zeit vergangen. Aber ich erinnere mich immer noch, als ob es erst gestern war."

Es war der Tag vor meinem 21. Geburtstag. Wie du weißt, studierte ich damals hier in New York und jobbte in einem kleinen Cafe im Greenvich Village. 
Es war ein heißer Junimorgen, als ich mit der Arbeit begann. Sie betrat das Cafe ca. dreißig Minuten nachdem wir geöffnet hatten. Es waren Ferien, die meißten New Yorker flohen vor der Hitze, deshalb war nicht viel Betrieb.
Ich ging zu ihr rüber. "Guten Morgen, was darf ich ihnen bringen?"
Sie blickte auf und lächelte mich an. Ich hatte noch nie in so strahlend blaue Augen geblickt. Jedenfalls kam es mir so vor. Ihre roten Locken umspielten ihr Gesicht und ihr Lächeln war bezaubernd. Sie hatte Sommersprossen auf der Nase und den Wangen. 
"Das wäre alles, danke", sagte sie lächelnd und schaute mich an. Ich räusperte mich und stotterte:"E....e....entschuldigung, was sagten sie?"
"Ich hätte gern einen Kaffee und ein Croissant." Sie lächelte immer noch und ihre Augen strahlten wie der Himmel an diesem Junitag. "Äh, ja, danke. Ich bringe es sofort."
Ich kam mir so blöd vor. 
'Was ist denn los mit dir?' schalt ich mich selbst. Aber ich konnte nicht länger darüber nachdenken, denn an einem anderen Tisch rief man schon lautstark nach einer Bedienung.
 Nach einigen Minuten brachte ich ihr die Bestellung. Ich stellte den Kaffee und das Croissant auf den Tisch. "Danke", ohne von ihrem Buch aufzuschauen nahm sie das Croissant direkt vom Teller und biss herzhaft hinein. Ich blieb wohl einen Moment länger stehen als nötig war, denn sie schaute auf und sah mich mit fragendem Blick an. "Danke, das wäre dann erstmal alles."
"Äh, bitte, gern geschehen. Falls sie noch einen Wunsch haben, ich bin gleich dort drüben", ich deutete auf den Thresen. "Danke, gut zu wissen". Sie widmete sich wieder ihrem Buch.

Tante Hannah unterbrach ihre Erzählung. Sie schaute versonnen auf ihr Glas und drehte es in ihrer Hand.
Ich sagte nichts und wartete gespannt darauf, dass sie weiter erzählte. 

Das war unsere erste Begegnung an diesem Tag. Aber es sollte nicht die letzte sein. 
Der Tag war sehr heiß und ich kam ganz schön ins schwitzen. Als ich meine Arbeit kurz unterbrach um auf die Toilette zu gehen muß sie wohl das Cafe verlassen haben. Ich bemerkte es gar nicht sofort, da ich mich hinter dem Thresen zu schaffen machte. Als ich irgendwann aufsah und zu dem Tisch hinüberschaute, an dem sie gesessen hatte, war er leer. Irgendwie war ich enttäuscht, aber, was hatte ich denn erwartet? 
Meine Schicht endete gegen vierzehn Uhr. Ich verabschiedete mich von Lisa, meiner Ablösung und verließ das Lokal. Der Himmel hatte sich verdunkelt, es zog ein Gewitter auf. Aber ich mußte noch ein paar Bücher für mein Studium abholen, die ich in den Semesterferien durcharbeiten wollte.
Ich ging die 3rd Street Richtung 6th Avenue als es zu Donnern begann. Meine Schritte wurden schneller. Aber noch bevor ich die Bücherei erreichte, fing es an wie aus Eimern  zu schütten. 
Total durchnäßt stürzte ich regelrecht durch den Eingang des Geschäftes und rempelte eine alte Dame an. Ich endschuldigte mich bei ihr, aber sie schüttelte nur den Kopf, murmelte etwas vor sich hin und verließ den Laden. Da stand ich nun, pudelnass und verlegen.
Ich sah mich nach einer Verkäuferin um, die ich wegen meiner Bestellung ansprechen konnte, als ich plötzlich ein leises Lachen hinter mir hörte. Ich drehte mich in die Richtung, um zu sehen, wer sich da über mich lustig machte. 
Und da stand sie. Sie schaute mich direkt mit ihren stahlblauen Augen an.
"Hallo." Sie kam einen Schritt auf mich zu.
"Ha-Hallo." Mehr brachte ich nicht heraus. Jetzt konnte ich sie mir genauer ansehen. Ich schätzte sie auf mitte dreißig, später erfuhr ich, dass sie zweiundvierzig Jahre alt war. Sie hatte rotes gelocktes Haar und ein spitzbübisches Lächeln. Meine Knie wurden ganz weich. 
Sie kam noch einen Schritt auf mich zu. Regen tropfte mir von den Haaren, aber ich bemerkte es nicht. Meine Kleidung war völlig durchnäßt, doch ich spürte es nicht. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Dabei kannte ich diese Frau gar nicht. Ich kannte nicht ihren Namen, noch wer sie war oder wo sie herkam. Und doch hatte ich das Gefühl, als ob ich sie schon ewig kennen würde.

Tante Hannah nahm einen Schluck Wein. Ich hing an ihren Lippen und lauschte gespannt ihrer Geschichte.
"Was ist dann geschehen?" fragte ich leise und berührte sie sacht am Arm. Tante Hannah schaute mich an, ihre Augen schimmerten feucht. Aber sie atmete tief ein, lächelte mich an und erzählte weiter.
  
Wir schauten uns einige Sekunden lang an. Dann sagte sie: "Willst du hier etwas bestimmtes oder suchst du nur Schutz vor dem Regen?"
"Oh, ich wollte einige bestellte Bücher abholen", sagte ich und sah mich dabei suchend um. 
Da ich immer noch keine freie Verkäuferin ausmachen konnte wandte ich mich ihr wieder zu.
Lächelnd ergriff sie meine Hände. "Du bist klitsch nass."
Ich sah an mir herunter. "Ja, das ist wohl wahr." Ich sah sie an. Plötzlich mußten wir beide lachen.
Sie hatte ein so wundervolles Lachen, ich konnte gar nicht anders. Wir lachten und lachten und sie hielt dabei meine Hände. Die wenigen Kunden im Laden sahen uns teils amüsiert, teils verwirrt und teils pikiert an. Es war mir egal. Wir konnten gar nicht aufhören zu lachen. 
"Meine Damen, etwas ruhiger bitte," schalt uns eine Verkäuferin. 
Wir sahen beide zu ihr hinüber. 
"Komm", sagte sie zu mir, ließ eine Hand los und zog mich an der anderen aus dem Laden. Draußen regnete es immer noch Bindfäden. Wir liefen die Straße hinunter und lachten immer noch. Wir tanzten und hüpften  ausgelassen den Gehweg entlang.  Den Regen nahmen wir gar nicht wahr.
Sie strahlte mich an und rief mir zu: "ich bin Mandy". Wir blieben voreinander stehen. Sie sah mir in die Augen, wir standen ganz nah voreinander. Sie strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und streichelte dabei meine Wange. "Ich bin Hannah", bekam ich raus und konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Und da küßte sie mich zum ersten Mal. Ganz zart berührten ihre Lippen die meinen. Dann schaute sie mich wieder an. In dem Moment war mir der Ort und die Menschen um uns herum völlig egal. Ob sie uns anstarrten, über uns lachten oder den Kopf schüttelten. Ich wollte es nicht wissen.
Und diesmal küßte ich sie. Zuerst ganz sacht, doch dann wurde mein Kuß fordernder.

Hannah  verstummte. Ich sah sie an. Sie schaute verträumt ins Nichts. Ich wartete eine Weile bevor ich sie ansprach. "Tante Hannah, ist alles in Ordnung?"
Sie schaute mich an, aber ich hatte das Gefühl, das sie in Wahrheit ganz weit weg war.
Dann wurde ihr Blick wieder klar. "Ach Kleines, es kommen so viel vergessen geglaubte Gefühle wieder hoch."
"Wenn es dir zu schwer fällt, kannst du mir die Geschichte ein anderes Mal weiter erzählen." Ich streichelte ihren Arm.
"Nein, es geht schon. Du sollst die ganze Geschichte erfahren." Sie lächelte mich an und nippte von ihrem Wein.

Sie führte mich zu ihrer Wohnung im Village. Es war ein kleines Atelier im vierten Stock. Wir liefen lachend die Treppen hinauf und zwischendurch hielten wir immer wieder an und küßten uns leidenschaftlich.
 Die Tür zu ihrem Atelier war nicht verschlossen, Mandy öffnete sie und schubste mich sanft hinein. Ich blieb ruhig stehen und konnte hören wie die Tür ins Schloss fiel
Der Raum war hell, mit einem großen Dachfenster unter der eine Staffelei stand. Im vorderen Bereich war eine Kochnische mit Theke und zwei Barhockern. Im hinteren Bereich stand, etwas erhöht, ihr Bett. Es wurde von einer Patchworkdecke und vielen Kissen verziert.Sie kam zu mir und umfaßte mich von hinten.
Ich schmiegte mich an sie und umfaßte ihre Arme.
"Du fühlst dich ganz kalt an, soll ich dir einen Tee machen?"
Langsam drehte ich mich zu ihr um und sah ihr in die stahlblauen Augen. Ich strich ihr über die Haare, über ihr Gesicht und ihren Hals. Mandy hatte die Augen geschlossen.
"Alles was ich möchte bist du". Hatte ich das gesagt? Ich war über meine Direktheit erschrocken. Aber Mandy weckte etwas in mir, das ich noch nie bei einer Frau mit solcher Intensität erfahren hatte. Ich begehrte sie, ein Gefühl das nicht ganz neu für mich war. Aber bisher hatte ich mich nie getraut auch den letzten Schritt zu machen. Mandy wollte ich ganz und zwar hier und jetzt.

Hannah sah mich an: "Ich möchte dich mit den intimen Details verschonen. Nur so viel: es war eine sehr stürmische Nacht. Und damit meine ich nicht das Gewitter."
"Hattest du keine Angst, es war doch das erste Mal, dass du mit einer Frau zusammen warst?"
"Nein, es war alles so selbstverständlich. Sie öffnete die Tür zu einer neuen Welt für mich und ich trat hindurch."
"Das muss aufregend für dich gewesen sein."
"Du hast ja keine Ahnung wie aufregend. Aber es war auch wunderschön."
"Was geschah am Morgen danach? Ist ja manchmal knifflig diese Situation."
Tante Hannah lächelte und erzählte weiter:

Wir kamen erst bei Sonnenaufgang zum schlafen. Ich erwachte durch die Sonnestrahlen die mein Gesicht streichelten. Zuerst mußte ich mich kurz orientieren, doch dann fiel mir alles wieder ein.
Ich mußte lächeln. Mandy hatte einen Arm um mich gelegt und sich eng an mich geschmiegt. Ich wagte nicht mich zu bewegen, aus Angst, sie aufzuwecken.
Doch ich mußte zur Toilette, also hatte ich keine Wahl. Ich nahm ganz sanft ihren Arm und schlüpfte aus dem Bett. Vorsichtig schlich ich in Richtung Bad als ich hinter mir ein Rascheln hörte.
"Guten Morgen", murmelte Mandy. Ich sah mich um. Sie sah so zauberhauft aus, mit ihren zerwühlten Haaren die ihr wie wild vom Kopf standen. Mit ihrem halb verschlafenen Blick und dem süßen Lächeln auf ihren vollen Lippen.
"Guten Morgen", antwortete ich und lächelte zurück. "Bin sofort wieder da." Was sollte das denn? Was Blöderes fiel mir wohl nicht ein. Ich drehte mich um und verschwand schnell ins winzige Bad.
Als ich auf dem Klo saß, ließ ich die Nacht nocheinmal Revue passieren. Die Erinnerungen an die vergangenen Stunden erregte mich wieder. Und plötzlich fiel mir noch etwas ein. Ich mußte lächeln.
Als ich aus dem Bad kam hatte sie sich halb im Bett aufgerichtet und sah mich an. Ihre Wangen waren noch immer gerötet. Sie öffnete die Arme: "Komm zu mir Engel".
Ich ging zu ihr, blieb vor dem Bett stehen und sah sie an. "Was ist Baby?" fragte sie mich und ergriff meine Hand.
"Es ist alles in Ordnung. Mir ist nur gerade etwas eingefallen."
Mandy sah mich auffordernd an: "Nämlich?"
"Heute ist mein 21. Geburtstag", sagte ich und sah sie an.
Mandy kniete sich auf das Bett, so dass wir auf Augenhöhe waren. 
"Na dann Engel, alles Liebe zum Geburtstag."
Sie nahm mich in den Arm und küßte mich leidenschaftlich. Als wir voneinander ließen schauten wir uns an und wir mußten biede lachen. Wir lachten, vielen auf das Bett zurück und machten da weiter, wo wir am frühen Morgen aufgehört hatten.

Ich war so fasziniert, dass ich gar nicht merkte wie die Zeit verging. Meine Lieblingstante machte eine Pause und schaute mich an.
"Wie ging es weiter mit euch? Hast du sie wiedergesehen?"
Hannah lachte. "Langsam Kleines, ich erzähle dir auch noch den Rest, aber zunächst muss ich erstmal auf die Toilette."
Ich konnte es kaum erwarten das Ende der Story zu hören.
Als sie im Bad verschwunden war, ging ich auf die Dachterrasse um eine Zigarette zu rauchen.
Die Geschichte hatte mich völlig in ihren Bann gezogen. Ich hatte ja gar keine Ahnung was meine Tante in jüngeren Jahren erlebt hatte. Sie war immer so wage gewesen, wenn ich sie nach ihrer Studienzeit in New York gefragt hatte. 
 Es war sehr faszinierend, aber auch ein wenig traurig, schließlich wußte ich ja, dass es kein Happy End geben würde.
Ich zog an meiner Zigarette und schaute auf die Lichter New Yorks. Ich mußte an Cassie denken, die jetzt in ihrem Bett lag und hoffentlich von mir träumt.  
Ich hörte Hannah aus dem Bad kommen und auf die Terrasse treten. Sie stellte sich neben mich und wir schauten beide auf die Stadt die niemals schläft.
Ich schaute sie von der Seite an, sie machte einen traurigen Eindruck.
"Geht es dir gut Hannah?"
Sie schaute mich an und lächelte: "Aber ja, nur haben mich die Erinnerungen doch mehr getroffen, als ich gedacht hatte. Aber es tut gut, darüber zu reden. Ich habe so lange geschwiegen und bin so froh, dass ich es endlich jemandem erzählen kann. Und das du es bist ist noch viel schöner."
Ich nahm sie in die Arme. So blieben wir ein paar Augenblicke stehen bis sie sagte: "Es ist doch ein wenig kühl hier draußen, laß uns wieder reingehen, dann erzähle ich dir das Ende der Geschichte."
Wir gingen wieder ins Wohnzimmer und setzten uns auf die Couch. Nachdem wir beide von unserem Rotwein getrunkenn hatten erzählte sie weiter.

Mandy und ich trafen uns nach dieser Nacht regelmäßig. Wir hatten einen tollen Sommer. Sie stellte mir ihre Freunde aus dem Village vor und wir waren fast jedes Wochenende auf einer anderen Party.
Da der Sommer sehr heiß war, verbrachten wir die Tage, wenn ich nicht arbeiten mußte, in ihrem Atelier. Dort war es schön kühl, aber nur die Raumtemperatur. Zwischen uns beiden lief es ganz schön heiß. Wir liebten uns zu jeder Gelegenheit. Es war der beste Sommer, den ich je erlebt hatte und erleben würde. 
Wir besuchten Ausstellungen, gingen auf Vernissagen, plauderten mit ihren Nachbarn auf der Straße und in den kühlen Nächten, wenn wir nicht gerade mit Sex beschäftigt waren, saßen wir auf der Treppe vor ihrem Haus, rauchten, plauderten und genossen das Leben.
Sie half mir bei meinem Stoff für das Studium und lehrte mich Dinge, die ich ohne sie vielleicht nie herausgefunden hätte. 
Allerdings lief unsere Liebe im verborgenen ab, für ihre Freunde waren wir nur gute Freundinnen, obwohl ich nicht weiß, ob sie uns das abgekauft haben. 
Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie lesbisch war. 
Sie erzählte mir, dass sie schon oft deswegen verbal und einige Male auch tätlich angegriffen worden war. Aber sie wollte sich nicht verstecken. 
Sie sagte immer zu mir: "Wer bin ich denn, wenn ich nicht sein kann wie ich bin? Jeder Mensch sollte so leben, wie es ihm gefällt. Ich würde nur mich selbst belügen und damit könnte ich nicht leben."
Meine Gefühle für sie wurden immer stärker, je mehr Zeit wir miteinander verbrachten. 
Ich bewunderte sie und schaute zu ihr auf, aber sie behandelte mich wie eine Ebenbürtige, obwohl ich so naiv und unsicher war. Sie gab mir das Gefühl, Jemand zu sein. Und mit ihr an meiner Seite hätte ich die Welt aus den Angeln heben können. 
Allerdings konnte ich eine Sache nie tun, ich konnte mich nicht outen. Ich hatte zu viel Angst, dass meine Familie es herausfinden und nicht akzeptieren könnte.
Meine Eltern waren sehr gläubig und sehr aktiv in der Gemeinde in der sie wohnten und wenn herausgekommen wäre, dass eine ihrer Töchter auf Frauen stand, dann wäre das eine totale Katastrophe für sie gewesen. Ihre Welt wäre zusammengebrochen.
Mandy beteuerte immer, dass es ihr nichts ausmache, aber ich doch darüber nachdenken solle. Ich könne mich schließlich nicht immer hinter Normalität verstecken. Entweder käme es irgendwann doch durch einen dummen Zufall heraus oder ich würde schöne Gelegenheiten verpassen, nur weil ich nicht ehrlich zu mir selbst sei.
Ich schob den Gedanken beiseite und redete mir ein, dass es doch ganz gut zwischen uns lief. Also warum sollte ich mich dann irgendwelchen Unannehmlichkeiten aussetzen, nur weil ich mich in eine Frau verliebt hatte.
Ja, ich war verliebt und zwar bis über beide Ohren. 
Aber irgendwann geht auch der schönste Sommer vorbei. Es wurde kühler und ich mußte wieder zur Uni. Von da an sahen wir uns nicht mehr so häufig.
Es tat mir zwar weh, sie nicht mehr so oft treffen zu können, aber mein Lernpensum war enorm und ich trat auch noch einigen Lernkreisen bei, so dass ich kaum noch Zeit für sie hatte.

Hannah schwieg. Ich war so versunken in ihre Erzählung, dass ich es erst gar nicht merkte. Doch dann schaute ich auf und sah, dass ihr eine Träne die Wange herunterlief.
Ich sah sie an, schwieg aber. 
Hannah wischte sich die Träne mit dem Handrücken ab, lächelte mich an und erzählte weiter.

Es war eine verrückte Zeit. Ich bekam so viele neue Eindrücke, zudem war ich das allererte Mal in eine Frau verliebt, doch diese Liebe blühte nur im geheimen.
Wenn ich sie jemandem vorstellte war sie nur eine gute, eine sehr gute, Freundin. Ich war mit dieser Situation zufrieden und auch Mandy hatte mir immer wieder beteuert, dass es so in Ordnung für sie wäre. Allerdings ließ sie aber auch keinen Zweifel daran, dass es für uns beide schöner wäre, wenn ich mich endlich dazu bekennen würde, dass ich Frauen liebe.
Ja, ich gab ihr recht, aber ich fühlte mich einfach noch nicht bereit dazu. 
Dann kam der Abend, an dem sie mir erzählte, dass sie nach Paris gehen wolle.
Wir saßen in ihrem Atelier, nachdem wir uns lange und zärtlich geliebt hatten, an ihrem Küchentisch gegenüber. Sie hatte uns einen Tee gemacht. Ich hatte die Beine angezogen und nippte an meiner Tasse, als sie mir plötzlich fest in die Augen sah.
"Hannah, ich muß dir etwas sagen. Einen Vorschlag machen."
Ich sah sie erwartungsvoll an. 
Sie spielte mit ihrer Tasse, schob sie hin und her und schien die richtigen Worte zu suchen.
"Ich habe eine alte Freundin, die in Paris wohnt." Pause
Ich wartete, dass sie weiter erzählte. Irgendwie war ich auf diese alte Freundin eifersüchtig, konnte aber nicht sagen warum.
"Sie hat mir geschrieben und mich eingeladen sie in Paris zu besuchen."
Sie schaute mich nun an.
"Und ich möchte diese Einladung annehmen. Dort könnte ich meine Kunst noch verbessern, neue Kontakte knüpfen und, na ja, vielleicht ein neues Leben beginnen."
"Was ist denn an diesem Leben falsch?" fragte ich und sah sie an. Mein Gott, war ich damals noch naiv.
"Oh, nichts, schon gar nicht, seit ich dich kenne. Aber ich hätte dort viel bessere Möglichkeiten Recherchen zu meinem Buch zu machen. Du weißt, mein Buch spielt im Frankreich des zweiten Weltkrieges. Ich könnte direkt vor Ort Nachforschungen anstellen und Interviews führen. Und,"
Pause
Sie räusperte sich: "Ich dachte, vielleicht hast du Lust mich zu begleiten. Dort wären wir weit weg von allem und du hättest dann vielleicht den Mut, dich zu dir zu bekennen."
"Ach, darum geht es also? Du möchtest, dass ich mich zu dir bekenne? Und weil ich es hier bisher noch nicht getan habe möchtest du, dass wir nach Europa gehen? Denkst du, das würde alles ändern? Ich dachte, es macht dir nichts aus wenn wir uns in der Öffentlichkeit nur als gute Freundinnen bezeichnen?"
"Nein, Hannah, so meine ich das doch nicht. Es wäre wirklich eine Chance für mich und ich möchte sehr gern, dass du mitkommst. Ob nun als gute Freundin oder als geliebte Frau. Das ist mir egal, ich möchte dich doch nur bei mir haben."
Ich sprang auf. "Sorry Mandy, aber das muß ich mir erst noch einmal gründlich überlegen. Ich kann doch nicht hier alles stehen und liegen lassen und einfach abhauen."
"Hannah, was läßt du denn hinter dir? Dein Studium kannst du in Paris genauso weiterführen und Familie hast du in New York nicht."
Mir stiegen die Tränen in die Augen, aber ich wollte nicht weinen. Ich drehte mich um, zog meine Hosen an und ging Richtung Tür.
"Sei mir nicht böse Mandy, aber ich muß jetzt gehen. Ich schreibe Morgen eine wichtige Klausur und ich muß noch dafür lernen."
Ich traute mich nicht sie anzusehen, aus Angst nicht den Mut aufzubringen und zur Tür hinaus zu gehen.
"Hannah, sieh mich an." Mandy kam hinter mir her und faßte meinen Arm. Nun mußte ich sie ansehen.
Als ich in ihre Augen sah erschrak ich. In ihrem Blick lag so etwas wie Trauer, Sehnsucht und, ja, was war es noch? Da konnte ich es noch nicht deuteten, aber ein paar Tage später wußte ich, dass es die Gewißheit eines Abschiedes war.
"Mandy, ich verspreche dir, darüber nachzudenken. Wir sehen uns Morgen, ok?"
Ich drückte ihr noch schnell einen Kuß auf die Wange und wollte los. Doch sie hielt mich fest. Ich mußte mich noch einmal zu ihr umdrehen und in ihre Auge sehen. Ich lächelte. Sie lächelte mit traurigen Augen zurück.
Dann verließ ich das Atelier, das Atelier in dem wir so viel Spaß hatten. In dem ich zum ersten Mal die Zärtlichkeiten einer Frau erfahren hatte. 

"Wenn ich damals gewußt hätte, dass ich Mandy zum letzten Mal gesehen habe, wäre ich vielleicht geblieben. Hätte ich mich vielleicht länger mit ihr unterhalten und sie vielleicht nicht so vor den Kopf gestoßen."
Ich schaute Hannah an und nippte an meinem Wein: "Das sind aber ganz schön viele 'vielleichts'."
Hannah sah auf. Sie lächelte mich an. "Da hast du wohl recht. Aber im nachhinein ist man ja immer schlauer."
"Aber was ist dann passiert?"
"Nun, ich möchte dich nicht mit langen Details langweilen."
"Die Geschichte ist alles andere als langweilig."
Hannah strich sich mit der Hand durch ihr kurzes Haar.

Nun, wie es der Zufall wollte hatte ich am darauffolgenden Tag keine Zeit für sie. Ich schrieb wirklich eine Klausur und mußte noch arbeiten. Auch an den folgenden drei Tagen fand ich keine Zeit mich mit ihr auszusprechen. Vielleicht hatte ich auch einfach nur Angst vor dem Gespräch mit ihr. Ich war hin und her gerissen bei dem Gedanken nach Paris zu gehen. So viele Freunde und Studienkollegen träumten davon und ich hatte jetzt die Gelegenheit dazu und dann noch mit der Frau, die ich liebte. Alles hätte so perfekt sein können, wenn ich nicht so feige gewesen wäre.
Nun ja, nachdem ich mir dann endlich ein Herz gefaßt hatte, aber immer noch nicht wirklich wußte, was ich wollte, ging ich zu ihr. Ich klingelte unten an der Tür, aber niemand machte auf. Ich klingelte wieder und wieder. 
Zuerst dachte ich, sie sei ausgegangen. Doch als ich nach einigen Tagen immer noch nichts von ihr gehört hatte, machte ich mir ernsthaft Sorgen.